Schatzgräberei an der Gersdorfer Burg

 

Von Hermann Lorenz.( um 1928 )

 

Daß Schätze, Kleinodien und gemünztes Silber oder Gold, in Mauerhöhlungen oder unterirdischen Räumen alter Burgen und Ruinen verborgen seien, ist ein im ganzen Vaterlande verbreiteter Volksglaube.  Aus unserer Heimat sei nur hingewiesen auf die Kyffhäusermären,  auf die von H.Haase berichteten  Sagen über die  Lauenburg und auf unser  Stiftsschloß, von dem es heißt, daß in seinen unterirdischen Gewölben, wenn es einst zusammenstürze, sich so viel Schätze finden würden, daß es mit Leichtigkeit wieder aufgebaut werden könne.

  In früheren abergläubischen Zeiten hatten gar oft die Schatzgräber ihr Wesen, dessen Romantik unseren größten Dichter Goethe so anzog, daß er ihr Treiben wiederholt in seine Gedichte verwob, so in der bekannten Ballade „ Arm am Beutel, krank am Herzen“ und vor allem in Faust II, wo bei der Erschaffung des Papiergeldes der Höllengeist am Kaiserhofe die Gier nach vergrabenen Schätzen weckt; treffender und satirischer konnte der  Irrwahn der  Schatzgräber gar nicht geschildert werden.

  Auch bei Quedlinburg lassen sich zwei Fälle von Schatzgräberei nachweisen. Beide knüpfen sich an die Ruinen der Gersdorfer Burg an.

  Das gleichnamige Dörflein, am Südfuße der Seweckenberge gelegen, war am Ende des Mittelalters, wie die anderen 11  Stiftsdörfer (außer Ditfurt) zur  Wüstung geworden; seine  Kirche hatte man abgetragen. Die dabei liegende Burg, einst im Besitz des Regensteiner Grafen, lag öde und verlassen. Erst seit 1755 entstanden da draußen Gutsgebäude, Ställe, Scheunen nebst Wohnungen, zunächst für den Schäfer und den Hofmeister.

  Die dortigen Ackerbreiten gehörten zum stiftischen Vorburggute im Westendorf. König Friedrich der  Große, der als  Stiftsschutzherr bei allen  Veränderungen in der  Feldflur um  Erlaubnis gefragt werden mußte, genehmigte in den Jahren 1755-1756 die Herstel-

lung der Genannten Gebäude. Aus dem  Schriftwechsel mit ihm geht unzweifelhaft hervor, daß die  Umgebung der Gersdorfer  Burg wie diese selbst zu einer öden, wüsten Stätte geworden war *)

  Weitab von den noch bestehenden Ortschaften lag die Gersdorfer Wüstung. Der achteckige, wohl aus dem frühen Mittelalter stammende Turm mit seinen 3 Meter dicken Mauern trotzte als einsamer Recke dem  Verfall;  um ihn herum war,  wie aus den  Akten von 1755  hervorgeht, noch einiges Mauerwerk.  Sagen und  Spukgeschichten werden sich herausgebildet haben.  Dazu kam noch die Erinnerung an die früheren Burgherren, die reichen und mächtigen Grafen von Regenstein. Da war es denn kein  Wunder, wenn sich die  Kunde verbreitete, es seien unter den altersgrauen  Ruinen Schätze vergraben.

  Die im  Ratsarchiv noch vorhandenen  Akten der  Schutzherrlichen an die  Stadt  Quedlinburg verpachteten  Vogtei, der die  Beaufsichtigung und  Verwaltung der gesamten Feldflur unterstand, ergeben im Jahre 1717 folgendes:

  Der Flurschütze Hans Hoppe berichtete am 28. Mai 1717 : „ Heute früh habe er inwendig ( das heißt innerhalb der damals noch in Trümmern vorhandenen Burgmauer ) am Turme der Gersdorfer Burg ein  Loch unter den  Turm gegraben gesehen, daraus zu vermuten, daß jemand daselbst einen Schatz suchen müsse !“

  Auf diese Meldung hin beschloß der Stadtvoigt, in Erwartung, daß die Schatzgräber wiederkommen würden, Wache zu den ganz frisch gegrabenen Stellen hinauszuschicken.

  Der Ausreuter (=oberster, berittener Polizist) zog am 29.Mai bei einbrechender Dunkelheit mit mehreren Innungsschützen, Ratsdienern und  Flurschützen zur  Gersdorfer  Burg hinaus.  Sie verbargen sich am Turm, warteten aber vergeblich. Es stellte sich durch Spuren im Sande heraus, daß sich in der Nacht wer dem Loche an der Außenseite der Burgmauer genähert hatte. Also waren die Schatzgräber doch wieder dagewesen und wahrscheinlich, als sie die  Anwesenheit der  Aufpasser merkten, verscheucht worden.

  Nun begaben sich zur Besichtigung der Burg hinaus : der Stadtvoigt Wahle, der Ratsherr Zeiz und der  Voigteiattuar  Zeiz. Es stellte sich heraus, daß außer dem vom  Flurschützen  Hoppe gemeldeten Loche noch zwei neue entstanden waren, wahrscheinlich in der Nacht vom 28. zum 29. Mai. Von den drei  Löchern

 befanden sich zwei "hart am Turme“ auf der  Nordwestseite und auf der Westseite. Letzteres war nicht weniger als 4-5 Mann tief ! Der Bergmann und Flurschütze Beschte wurde an einem  Seil hinabgelassen, fand aber unten nichts, was auf eine  Spur hätte führen können.  Das dritte  Loch fand sich „auswärts der  Burg“  (d.h. der den  Burgflügel umgebenen Mauern) und war recht unter das Fundament des Turmes gegraben.

  Es handelt sich offenbar um planmäßige Schatzgräberei. Die Täter wurden nicht ermittelt. Der Stadtvoig ließ die Löcher wieder zuwerfen.

  Der zweite  Fall von  Schatzgräberei stammt aus dem  Jahre 1834.  Damals war der  Amtmann Graff Besitzer des Gersdorfer Gutes, dessen Gehöfte und Wohngebäude im Laufe der Jahrzehnte zu dem heutigen Umfange ausgebaut worden waren.

   Die  Burgruine selbst wurde damals von der  Stadt  Quedlinburg als ihr  Eigentum beansprucht. Diesen Standpunkt erkannte auch der damalige Landrat Weyhe an. Wie der Burgturm nebst seiner unmittelbaren  Umgebung später in den heutigen  Privatbesitz gelangte, wird eine  Forschung in den Grundbüchern ergeben.

  Jedenfalls wandte der Magistrat dem Gersdorfer Turme dasselbe heimatfreundliche Interesse zu wie den Warttürmen und sonstigen Feldflurbefestigungen ²) und suchte ihn gegen Verfall zu schützen. Die Flurhüter waren schon damals angewiesen, jede Beschädigung sofort zu melden.

  So berichten denn pflichtgemäß die beiden  Polizeiserganten Krebs und  Dillge am 7. November 1834: Beim  Begehen des Gersdorfer  Flurstückes sei von ihnen bemerkt worden, daß der Amtmann Graff,  Besitzer des Gersdorfer Gutes, in den Hügel , auf dem der alte Burgturm stehe, drei Stollen habe eintreiben lassen. Sie seien durch Gerüst abgestützt.  Diese  Stollen gingen bis an das  Grundgemäuer des Turmes heran. Der eine sei 16 Fuß lang bei einer Breite von 4 Fuß. Durch die Graberei werde der Untergrund des Turmes bedroht und Einsturzgefahr herbeigeführt.

  Der Amtmann Graff wurde sogleich aufs Rathaus zum Verhör entboten. Ueber den Zweck seines Beginnens machte er bezeichnenderweise zwei verschiedene Angaben. Zum Bürgermeister Schiller sagte er : Für seine Kartoffeln sei in dem Hügel nach Kellern gesucht worden. Nachher beim protokollarischen Verhör gab er zu,

 daß er nach „Altertümern“ habe graben lassen.

  Der Magistrat sah von einer Bestrafung ab, befahl aber dem Amtmann, binnen 3 Tage die Löcher zuwerfen zu lassen, ging auch nicht von dieser  Verfügung ab, als  Graff einwandte, daß er seine  Leute jetzt anderweitig brauche. Der  Magistrat bestand darauf, daß der  Hügel in den früheren  Zustand versetzt sein müsse, ehe  Frost eintrete;  konnte doch dieser auf die bloßgelegten  Fundamente schädlich einwirken.

  Graff befolgte den Befehl nicht, ließ nur aus dem einen Stollen die Stützen herausnehmen, so daß Erde herabfiel und weiterer  Einsturz zu befürchten war.  Das meldeten die  Polizeiserganten dem Magistrat. Graff äußerte auf eine weitere Mahnung hin: den  Serganten komme es ja nur auf die Prozente der Strafgelder an. Als er Ende Dezember 1834 die Stollen noch immer nicht ausgefüllt hatte, legte ihm der Magistrat wegen Ungehorsams eine Strafe von 10 Thalern auf und ließ sie anfangs Januar 1835 unnachsichtlich durch den Exekutor Loewe eintreiben.

  Jetzt beschwerte sich Graff beim Landrat Weyhe. Dieser antwortete endlich im Oktober 1835: Der Magistrat habe in jeder Bezie-hung richtig gehandelt, er sei Eigentümer des Gersdorfer Burgrestes und verpflichtet, den Turm zu erhalten und gegen Beschädigung zu schützen.

  Dem Magistrat wurde zugleich vorgeschrieben, gemäß den kgl. Verordnungen, den recht schadhaften Turm gründlich ausbessern zu lassen. Diese Anweisung wurde im Jahre 1836 befolgt, auf städtische Kosten. Es wurden die mehrfach vorhandenen Löcher im Gemäuer ausgefüllt und die Fugen sorgfältig verkittet.

  Hat denn  Graff etwas gefunden? wird der  Leser fragen. Im  Verhör gab er zunächst an: es seien nur Knochen gefunden und auf die  Aecker verstreut worden.  Knochen?  Das wird dem  Forscher auffallen. Wahrscheinlich noch Menschenknochen. Wie kamen sie in den Hügel? Handelt es sich um eine vorgeschichtliche  Begräbnisstätte,  die aufgewühlt wurde, als man die  Fundamente in den Hügel einbaute und die Knochen dann auf die Böschung des Walls warf ? Oder sind hier nach der Herstellung des Turmes Tote bestattet worden, vielleicht Gefangene, die im Verließ umkamen?

  Schließlich gab Graff zu, daß er auch Altertümer gefunden habe, u.a. eine Streitaxt, ein Beil, Sporen von Rittern. Aufgefordert, diese

 Sachen an die Stadt abzuliefern, schickte er 1836 nur wertlose Dinge: einen Klumpen geschmolzenes Eisen, einen Klinkenhaken, ein Stück Hufeisen, einen zerbrochenen (eisernen) Ring.

  Die Streitaxt, das Beil, die  Rittersporen hat er nicht geschickt: er habe sie einen  Bekannten übersandt, der 5 Meilen weit entfernt wohnte; das Botenlohn dorthin sei zu teuer. Daraus, daß Graff die Sachen an andere gab, geht hervor, daß ihm an „Altertümern“ nichts lag. Ohne Zweifel hat er bei den Nachgrabungen, die recht kostspielig waren, wie er selbst sagt, mehr erwartet als Altertümer. Offerbar lag Schatzgräberei vor wie 1717. Der Glaube, daß in den Ruinen dieser alten Regensteiner Burg Schätze vergraben seien, herrschte auch im 19. Jahrhundert noch.

*) E. Keil sagt in seinem Aufsatz über die Gersdorfer Burg, „Heimatborn“, Nr.33, die Sache sei nicht klar, und weist auf eine Stelle der Chronik von Frisch hin (II,S.134), wo von einer früheren Entstehung der Gersdorfer Gutsgebäude die Rede sei. Aber Fritsch äußert doch nur eine Vermutung und kannte die Akten von 1755/56 nicht. Am 10.12.1755 berichtet die Quedlinburger Vogtei an den kgl. preuß. Stiftshauptmann: Die Abteikammer lasse die Mauerreste der Gersdorfer Burg abbrechen, um an der „wüsten Stätte“ Gutsgebäude herzustellen, ohne Erlaubnis des Stiftsschutzherrn. Bei solchen Kompetenz - Konflikten kam es sonst stets zu langwierigen Streitigkeiten zwischen Aebtissin und dem Schutzherrn. Aber in diesem Falle verfügte Fridericus Rer 1756: er habe seine Erlaubnis bereits gegeben. Die Aebtissin Anna Amalia war nämlich seine Schwester. So lange sie Aebtissin sei, sollten die neuen Gutsgebäude frei vom Erbzins bleiben.

²) Es wird demnächst in einer Reihe von Aufsätzen des „Heimatborns“ geschildert werden, mit welcher jeden Heimat- und Altertumsfreund hoch erfeuenden Sorgfalt seit 1828, also 100 Jahre lang, der Magistrat die Befestigungsreste der Feldflur instand hielt, in Achtung vor der heimatlichen, ehrwürdigen Flur-Vergangenheit, wie sie nur wenige Städte aufweisen können. Um so bedauerlicher ist es, daß heute die Stadtbehörde einen besonders eigenartigen Zeugen dieser Vergangenheit kurzerhand vernichten wollen, den Landgraben an der Südgrenze der Feldflur, inden sie ihn für ein Nichts zum Straßenbau dahin geben!

Quelle : Heimatborn